Wir dürfen uns das Fühlen erlauben – auch im Business
"Sind Platz, Sinn und Nutzen jedes einzelnen Gefühls erst erkannt, kann es seine ursprüngliche Funktion wieder erfüllen. Und so entpuppt sich das, wogegen all die Jahre gekämpft wurde, als Schlüssel zum eigenen Potential."
Vivian Dittmar
Ja! Hinter jedem Gefühl steckt auch eine Stärke. Doch weil insbesondere die Gefühle Wut, Angst und Trauer negativ assoziiert werden, weil das Fühlen dieser Emotionen sich einfach nicht so schön anfühlt, beschränken wir uns. Gefühle lassen sich nicht in positiv oder negativ, in falsch oder richtig unterteilen.
In ihrem Buch „Gefühle & Emotionen - Eine Gebrauchsanweisung“ beschreibt die Autorin Vivian Dittmar alle Gefühle als Kraft. Über die Bewertung dieser Kräfte sagt sie: "Ob diese nun gut oder schlecht, liegt nicht im Wesen der Kräfte, sondern lediglich in der Absicht, die sie lenkt."
Wir alle kennen Wut als Aggression und Zerstörung. Doch Wut gibt uns auch die Möglichkeit Dinge, unseren Werten entsprechend, als falsch oder richtig zu beurteilen und für uns selber und unserer Bedürfnisse einzustehen. Im Business-Kontext bedeutet das: Ohne Wut keine Leidenschaft.
Das lähmende Gefühl der Angst ist den meisten sicherlich bekannt. Doch die Angst gibt uns die Möglichkeit zu handeln, Dinge zu verändern. Wir werden kreativ und finden neue Lösungswege, wenn uns etwas bedroht. Im Business-Kontext bedeutet das: Ohne Angst, keine Innovation.
Mit der Trauer werden wir früher oder später alle konfrontiert: Der erste Liebeskummer, der Tod eines geliebten Menschen. Doch die Trauer lässt uns spüren, dass uns jemand etwas bedeutet hat. Dass die gemeinsam verbrachte Zeit einen Wert hatte. Wenn wir also im Arbeitsalltag mit Trauer konfrontiert werden, zeigt das, dass wir unserer Arbeit einen gewissen Wert beimessen und somit Sinnerfüllung erleben: Ohne Trauer, keine Bedeutung.
Und was ist mit der Freude? Verdammt noch mal, lasst uns unsere Erfolge richtig feiern! Den Moment des Erfolgs anerkennen für unsere Leistung. Als freudige Verschnaufpausen zwischen dem erfolgreich abgeschlossenen Projekt und dem Folgenden. Denn das ist doch unser Antrieb, Freude zu spüren! Also lassen wir sie raus! Ohne Freude, keine Motivation.
Doch warum fällt uns das so schwer?
Wut, Angst, Trauer und sogar Freude – alles Gefühle, die schon seit Kindesbein an eine negative Bewertung bekommen: „Reiß dich zusammen!“ „Ein Indianer kennt keinen Schmerz“ „Du Heulsuse“ „Du Angsthase“ „Freu Dich nicht zu früh!“ „Freu dich nicht zu sehr!“ – alles Aussagen, die vermitteln, dass es nicht ok ist diese Art der Gefühle zu empfinden oder gar zu zeigen.
Die Folge: entweder lernen wir Gefühle überhaupt nicht mehr zu erzeugen oder wenn sie da sind, unterdrücken und betäuben wir sie. Beides keine gesunden Optionen. Denn mit beiden Strategien stehen wir nicht für uns selber und unsere Bedürfnisse ein – und diese haben wir so lange wir leben.
Wenn wir uns gänzlich von der Gefühlserzeugung entkoppeln, ist uns einfach alles egal. Wir spüren weder unsere eigenen Bedürfnisse, noch können wir die Bedürfnisse anderer Menschen wahrnehmen. Da uns alles egal ist, werden wir zum Spielball, treiben vor uns hin ohne Ziel, ohne Orientierung und fühlen uns einfach leer.
Die andere Option, Gefühle einfach runterzuschlucken, kennen wahrscheinlich die meisten von uns. Wir sitzen in einem Meeting und ein(e) Kollege/in macht uns blöd von der Seite an. Wir spüren Wut in uns aufsteigen. Weil wir so gut erzogen sind, lassen wir uns aber nichts anmerken, ergreifen vielleicht noch den Entschluss nach dem Meeting unter vier Augen zu sprechen. Das Meeting ist vorbei, der nächste Termin wartet und wir schleppen uns mit der Wut im Bauch weiter durch den Tag. Das Ereignis verblasst langsam über den Tag, abends fahren wir nach Hause und fühlen uns aber als sei uns eine Laus über die Leber gelaufen. Ein blöder Kommentar der Familie oder aus dem Freundeskreis, über den wir sonst vielleicht lachen, ist dann der Auslöser für einen völlig unverhältnismäßigen Wutausbruch. Die Wut vom Vormittag aus dem Büro entlädt sich an Freunden oder Familie.
Nicht die Gefühle an sich sind das Problem, sondern der Umgang damit.
Wenn wir eine Kultur etablieren, in der Gefühle gezeigt werden dürfen, können wir die positive Kraft und Stärke hinter den Gefühlen nutzen, um unser aller Potential zu entfalten, gesund zu bleiben und mit Leidenschaft, innovativen Ideen, Sinnhaftigkeit und Motivation zum Geschäftserfolg beitragen.
Wenn es also das nächste Mal zu einer emotionalen Reaktion kommt, gehe dem Gefühl und seiner positiven Absicht auf den Grund und entdecke die positive Kraft dahinter - egal, ob bei Dir, Kollegen oder Mitarbeitern.